Supervision – Berge – Kunst 2

Im Sommer 2021 sind auf den Gipfeln einiger Südtiroler Berge Kunstinstallationen zu erleben, die einen starken Eindruck hinterlassen. Als Supervisor, der sich mit erweiterten Erfahrungsmöglichkeiten, veränderten Sichtweisen und Verfahren, die das bewirken beschäftigt, sind mir Parallelen zu meiner Arbeit aufgefallen.

Das Cyanometer misst die Blaustufen des Himmel

Am Südtiroler Schnalstaler Gletscher hat Olafur Eliasson eine Installation auf 3212 m Höhe auf dem Grawand-Grat geschaffen.
Es ist ein permanentes und öffentliches Kunstwerk, das den Besucher dazu einlädt, intensiv über den Klimawandel nachzudenken.
„Das Kunstwerk, welches den Namen „Our Glacial Perspectives“ trägt, ist über einen 410 Meter langen Weg entlang des Gletscherkammes zu Fuß erreichbar. Auf dem Weg dorthin markieren neun Tore Intervalle, die der Dauer der bereits vergangenen Eiszeiten entsprechen. Am Ende steht dann fest verankert die große Kugel, auch Pavillon genannt, welche als astronomisches Instrument verwendet wird.“
Dessen verschieden großen Ringe sind mit über 700 blauen Glasscheiben versehen.
„Zudem ist dieses optische Gerät eine Einladung zur Konfrontation menschlich verkörperter Position mit den Dimensionen planetarischer und eiszeitlicher Perspektiven. (…)
Mit seinem Gletschermahnmal möchte Olafur Eliasson dazu anregen, die Antwort auf dieses mehr als aktuelle Thema in sich selbst zu finden.“
Quelle: https://www.merano-suedtirol.it/de/schnalstal/natur-kultur/sehenswuerdigkeiten/neu-kunstprojekt-olafur-eliasson.html
Die Dauer der vergangenen Eiszeiten wird im Gehen durch die Tore erfahrbar, dabei fällt der Blick auf den Gletscher, der zum Schutz vor schnellem Abschmelzen in Folie verpackt ist.

Vom Cyanometer die Südtiroler Berge sehen

Im Pavillon stehend nimmt der Betrachter dagegen eine anscheinend forschend vergleichende Position ein. Der Vergleich der Färbung der, in einer definierten Blauskala eingefärbten Glasscheiben mit dem aktuell wahrnehmbaren Blau des Himmels (Das Cyanometer ist eine am Ende des 18. Jahrhunderts entwickelte Skala zur Messung der Intensität der blauen Himmelsfarbe) verspricht Objektivität, obwohl das Farbempfinden sehr subjektiv ist und sowohl von der Blickrichtung wie dem eigenen Standpunkt abhängt.

Die Erfahrungen auf dem Weg durch die neun Tore haben Entsprechungen in supervisorischen Verfahren. Häufig werden Strukturen oder Phasen in der Entwicklung eines Teams oder einer Organisation, die nicht unmittelbar bekannt oder begreifbar sind durch Visualisierungen, Diagramme, soziale Skulpturen oder Organisationsaufstellungen erfahrbar gemacht. Dabei geht es immer darum abstraktes in begreifbares, nur vorhandenes in verfügbares Wissen zu verwandeln.
Die „Einladung zur Konfrontation menschlich verkörperter Position mit den Dimensionen planetarischer und eiszeitlicher Perspektiven“ im Pavillon entspricht ebenfalls Verfahren zum Perspektivwechsel in der Supervision. Ein häufiges, sehr viel einfacheres Verfahren ist etwa die „Zwei-Stuhl-Arbeit“ in der ein Dialogpartner die Position und damit auch die Empfindungen des Gegenübers explorieren kann.
Eliasson regt dazu an, die „Antwort auf ein aktuelles Thema in sich selbst zu finden“. Auch dieses Verfahren hat seine Parallelen in der Supervision. Häufig kommen Supervisanden mit dem Wunsch nach Antworten auf ihre Fragen. Am Ende der Einheit steht dann die Erkenntnis, dass die Antworten bereits da waren, aus verschiedenen Gründen aber nicht gesehen, gehört oder gedacht werden konnten. (vgl. Eliassons Kunstbegriff im Interview)
Eine weitere Erfahrung in der Auseinandersetzung mit dem Kunstwerk kann die Erschütterung der scheinbar objektiven Wahrnehmung sein. Wie so oft in sozialen Situationen ist keine objektive „Wahrheit“ auszumachen, vielmehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass nicht nur das Farbempfinden sehr subjektiv ist und sowohl von der Blickrichtung wie dem eigenen Standpunkt abhängt. Dieser Zweifel an der eigenen Wahrheit ist oft der Schlüssel für gelungene, respektvolle Kommunikation. Diese Kompetenz wird in Supervision und Coaching stetig weiterentwickelt.

Der Gletscher wird zum Schutz vor dem Abschmelzen mit Folie verpackt
Der räumliche Abstand der Tore markiert den zeitlichen Abstand der Eiszeiten

Text und Fotos Michael Greißel

Weitere Gedanken zu dem Kunstwerk von Olafur Eliasson finden sich in einem Interview:
https://www.torial.com/franziska.horn/portfolio/550321

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