Supervision und Mundart
In einer Supervision mit Berater*innen aus Mittelfranken und der Oberpfalz wurde eine Situation zur Reflexion angeboten.
Ein junger männlicher Ratsuchender war zur Beratung in Begleitung seiner Oma gekommen. Die Oma wurde als hantig geschildert, eher als Störfaktor für Beratung. Hantig, für die Mittelfranken in der Runde (auch dem Supervisor) ein unbekannter Begriff.
Ein normales Verfahren in der Supervision, die Begriffsklärung, wurde hier kreativ und amüsant angewendet. Hantig – resolut und offensiv, vielleicht auch übergriffig.
Die Beratungssituation wurde ausführlich geschildert, reflektiert, Handlungs-Alternativen für die Beraterin diskutiert. Der schwierige Umgang mit der hantigen Oma wurde etwas vielschichtiger durch die Frage: Welche Ressourcen bringt sie denn für den Beratungsprozess mit?
Gegen Ende der Reflexion stand noch eine Überraschung: Die hantige Oma hatte sich nach der Beratung einen persönlichen Termin beim Bürgermeister besorgt und mit ihrer Hantigkeit eine überraschend gute Lösung für das Anliegen ihres Enkels erreicht.
Eine kleine Generalisierung zum Thema Benachteiligung nicht-bürgerlicher bzw. nicht akademischer Menschen im Bildungssystem und deren manchmal überraschenden, vielleicht unangepassten Erfolgsstrategien rundeten die Reflexion ab.
Einige Wochen später las ich in den Roman Dunkelblum von Eva Menasse. Im „Glossar der Austriazismen“ (also hochdeutsche Umschreibungen Österreichischer Wörter) fand ich hantig als: eine Spur mehr als resolut, nämlich kratzbürstig, bitter (in dieser Bedeutung auch für Speisen und Getränke).
Vermuten könnte man, das Wort habe es über das Böhmische in der K&K Zeit in die Oberpfalz geschafft. Sprachwissenschaft und Etymologie betreiben wir in der Supervision selten, aber schöne Szenen im Umgang mit Sprache gibt es oft.
Ein Oberpfälzer Freund erklärte mir kürzlich den Unterschied zwischen „Die ist hantig!“ und „Die kann ganz schee hantig wer’n!“, letztere nämlich eigentlich eine gutmütige Person mit hantigem Potenzial. Bei der hantigen Oma würde ich mich da nicht festlegen.
