Zur Erinnerung: 2013 formierten sich Proteste gegen das Schleifen des Gezi Parks im Zentrum von Istanbul. Die AKP-Stadtverwaltung wollte mit Unterstützung von Erdogan ein lukratives Bauprojekt, ein Einkaufszentrum, errichten.
Die Proteste waren aus meiner Sicht der Höhepunkt der positiven Entwicklung der Türkei, die etwa um das Jahr 2000 begonnen hatte. Die in Nationalismus und Militarismus erstarrte Gesellschaft hatte sich aufgemacht, moderner, kreativer, europäischer, toleranter und gerechter zu werden. Der wirtschaftliche Aufschwung war zwar mit eben solchen Bauprojekten erkauft, führte aber zum Aufschwung einer Mittelschicht, deren junge Vertreter sich zivilgesellschaftlich engagierten, wirtschaftlich und kreativ experimentiert und Istanbul zur „hippen Stadt am Bosporus“ machten.
Die Gezi Park Proteste entwickelten eine erstaunliche Eigendynamik. Nichts davon war gelenkt oder geplant, wie türkische Justiz aktuell(!) Osman Kavala vorwirft und ihn seit Jahren eingesperrt.
Sehr unterschiedliche Gruppen, Linke, Umweltaktivisten, Menschenrechtler, aufgeklärte und moderne junge Muslime, Menschenrechtler, Architekten und Mediziner, Fußballfans und eben Künstler forderten zunächst demokratische Beteiligung bei Großprojekten ein.
Die friedliche Stimmung und die Sprachfähigkeit über alte Grenzen hinweg im Protest-Camp sorgte für Euphorie und weitergehende Experimente. Neue demokratische Diskussionsformen, Konsumverzicht, ökologische Transformation, Demokratisierung waren die Themen.
Die Regierung Erdogan ließ bekanntermaßen die Proteste sehr gewalttätig abräumen, es gab Todesopfer und viele Protestler zogen sich, oft traumatisiert, letztlich ins Private oder die Emigration zurück.
Was bleibt vom Gezi Park?
Darüber möchte ich eine Serie über den künstlerischen Niederschlag der Proteste schreiben und mit den Tuschzeichnungen der international bekannten Istanbuler Künstlerin Canan Sahin beginnen.
Osmanische Buchillustration
Tuschezeichnungen im Stil der persisch/osmanischen Buchillustration sind eine außergewöhnliche Technik für eine moderne, feministische Künstlerin die oft auch Videoarbeiten ausstellt (wiederholt auf den Istanbul-Biennalen).
Die Zeichnungen treffen, schon rein durch ihre Verwendung, die Aussage: Ihr – die religiös Konservativen – habt nicht das Monopol auf Traditionen, auch wenn ihr ständig versucht eure neoliberale Gier und Korruption mit alten osmanischen Mänteln zu verhüllen. Die Bilder in osmanischer Tradition werden im Gegenteil eingesetzt um Gewalt und Machtmissbrauch zu entschleiern und öffentlich zu machen. Sie verweisen auf eine stolze Tradition demokratischen Protests in der Türkei.
Mit freundlicher Genehmigung der Künstlerin – Courtesy Canan Sahin