10 Jahre Gezi Park Proteste 2

2013 – 2023: 10 Jahre Gezi Park Proteste in der Türkei

Zur Erinnerung: 2013 formierten sich Proteste gegen das Schleifen des Gezi Parks im Zentrum von Istanbul. Die AKP-Stadtverwaltung wollte mit Unterstützung von Erdogan ein lukratives Bauprojekt, ein Einkaufszentrum, errichten.
Die Proteste waren aus meiner Sicht der Höhepunkt der positiven Entwicklung der Türkei, die etwa um das Jahr 2000 begonnen hatte. Die in Nationalismus und Militarismus erstarrte Gesellschaft hatte sich aufgemacht, moderner, kreativer, europäischer, toleranter und gerechter zu werden. Der wirtschaftliche Aufschwung war zwar mit eben solchen Bauprojekten erkauft, führte aber zum Aufschwung einer Mittelschicht, deren junge Vertreter sich zivilgesellschaftlich engagierten, wirtschaftlich und kreativ experimentiert und Istanbul zur „hippen Stadt am Bosporus“ machten.
Die Gezi Park Proteste entwickelten eine erstaunliche Eigendynamik. Nichts davon war gelenkt oder geplant, wie türkische Justiz aktuell(!) Osman Kavala vorwirft und ihn seit Jahren eingesperrt.
Sehr unterschiedliche Gruppen, Linke, Umweltaktivisten, Menschenrechtler, aufgeklärte und moderne junge Muslime, Menschenrechtler, Architekten und Mediziner, Fußballfans und eben Künstler forderten zunächst demokratische Beteiligung bei Großprojekten ein.
Die friedliche Stimmung und die Sprachfähigkeit über alte Grenzen hinweg im Protest-Camp sorgte für Euphorie und weitergehende Experimente. Neue demokratische Diskussionsformen, Konsumverzicht, ökologische Transformation, Demokratisierung waren die Themen.
Die Regierung Erdogan ließ bekanntermaßen die Proteste sehr gewalttätig abräumen, es gab Todesopfer und die Protestler zogen sich, oft traumatisiert, letztlich ins Private oder die Emigration zurück.

Was bleibt vom Gezi Park?

Darüber möchte ich eine Serie über den künstlerischen Niederschlag der Proteste schreiben und mit der Malerei des längere Zeit in Berlin und mittlerweile in London lebenden Künstlers Mustafa Pancar fortfahren.

Mustafa Pancar: Künstler, Zeitzeuge und Chronist

Mustafa Pancar lebte 2013 in einer Atelierwohnung unweit des Gezi-Parks. Während der Proteste dokumentierte er sie fotografisch und verarbeitete das dann in Zeichnung, Malerei, Collage und Assemblage. Die Arbeiten wurden 2015 in der namhaften Milli Reasürans Sanat Galerisi in Istanbul gezeigt. Es erschien ein dreisprachiger (tr,e,d) Katalog Yol Kenari/The Wayside/Am Wegrand mit einem Vorwort von Beral Madra.
Das 210×150 cm große Bild „auf und ab“ zeigt Figuren, die auf den Trümmern der teilweise eingerissenen Begrenzungs-Mauern des Gezi-Parks auf und ab gehen. Im Hintergrund Abriss-Bagger, die Bäume und die Cafeteria des Parks sowie moderne Hochhäuser am Taksim-Platz.
„Die Figuren verraten eine Leistung zur Überwindung eines gewaltigen politischen und neokapitalistischen Eingriffs in ihren Lebensraum, zugleich aber auch potentielle Unruhe und Revolte“ (Katalog S.7)
Im Februar 2023 kann man beim Betrachten des Bildes nicht umhin, auch die Trümmer der Erdbebenkatastrophe zu sehen. Während Rettungskräfte die letzten Überlebenden bergen, verteidigt Staatspräsident Erdogan seine Baupolitik, die in den letzten 20 Jahren eine Menge an Großprojekten hervorgebracht hat, aber auch wegen der grassierenden Gier und Korruption darin versagt hat, den Menschen erdbebensichere Gebäude zu garantieren. Dieser Spannungsbogen zieht sich auch über die letzten 10 Jahre.

Figuren gehen auf und ab beim Gezi Park

1 Kommentar zu „10 Jahre Gezi Park Proteste 2“

  1. Thank you very much for mentioning my past exhibition Michael. I can say that it has been on my mind for the last few days what a huge catastrophe in south East of Turkey. It is paralyzing even thinking of the scale of devastation.My painting series which was related to Gezi Park (2014-15) became a reminder these days. What we saw in the factual scenery in those days repeats again today. İn the Gezi paintings people were trying to follow a path in the middle of the leftover broken concrete chunks, through the chaos. It was about resistance against the ruling authority.As a difference people are in constant movement literally just for surviving the recent earthquake. The fatal existence of concrete construction stays unchanged in both.There is a subtle, connection between the Gezi and the Maraş catastrophe in terms of the undeniable corruption of political rule in the last two decades. You already explained this fact clearly in your text as you were closely interested in the art, culture, and politics of Turkey. Thank you for your care.
    Mustafa Pancar, Facebook 2-2023

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