Rezension: Der Fünf-Stunden-Business-Tag - Eine konkrete Utopie für Nachfolge- und Zukunftsunternehmer von Lioba Heinzler, Supervisorin DGSv und Business Coach at DGSv in: Unternehmeredition 6.2022
„Einen Nachfolger oder eine Nachfolgerin für ein Familienunternehmen zu finden, ist heute nicht mehr so einfach wie es noch vor zehn Jahren war. Ein Hauptgrund: Die nachwachsende Generation Y, geboren in den 1980er und 90er Jahren, ist zahlenmäßig eine kleinere Gruppe. Und sie hat ganz andere Vorstellungen von einem Arbeitsethos und einem erfüllten (Arbeits-)Leben als die Generation der in den 1950er und 1960er Jahren geborenen Babyboomer.
Die Kinder der Babyboomer-Unternehmensleitungen haben heute zwar sehr wohl Interesse daran, Verantwortung für die Familienfirma zu übernehmen. Aber eine 60- oder 70-Stundenwoche, wie sie ihre Eltern lange praktizierten, möchten sie sich nicht antun. …
Um ihren Betrieb für die Nachfolge attraktiv zu gestalten, müssen die „alten“ Unternehmer beginnen, sich im Arbeitsalltag entbehrlicher zu machen. Zum Beispiel, indem sie den Fünf-Stunden Business-Tag etablieren. …
Das Konzept des Fünf-Stunden Business-Tags, von dem beide Unternehmergenerationen profitieren können, braucht Entschiedenheit, Committment und den Willen, ein paar entscheidende Dinge ganz anders als bisher zu organisieren: …
1. Ein produktiver persönlicher Arbeitsstil
2. Klarheit über delegierbare Kernaufgaben
3. Zeitgemäße Formen der Team- und Mitarbeiterführung
4. Eine Unternehmenskultur, die keine Angst vor einer Vision hat
5. Die räumliche Trennung von Familie und Unternehmung “
Ich habe diese Zeilen mit großem Interesse gelesen. Selbst aus dem engsten persönlichen Kreis kenne ich das Problem, eine Lösung gab es damals nur im Verkauf des Unternehmens.
Ich finde es wohltuend, dass nicht einseitig die übergebende oder die übernehmende Generation eine Anpassungsleistung erbringen muss, sondern beide Generationen gemeinsam ein neues Selbstverständnis von unternehmerischer Arbeit entwickeln können, das nachhaltig und zukunftsfähig, sowohl betriebswirtschaftlich wie familienfreundlich ist.
Ich habe zudem den Eindruck, dass die Spannungen zwischen den Generationen bei der Unternehmensnachfolge nicht geringer werden. Auch die Millennials, die um 2000 geborenen, haben Werte ausgeprägt, die im Kontrast zum traditionellen Verhalten von Familienunternehmer*innen stehen. Hohe Wochenarbeitszeit über lange Phasen, keine moderne Organisation der eigenen Arbeit (etwa hybrides Arbeiten unabhängig vom Standort des Unternehmens, Verzicht auf aktuelle Bedürfnisse) sind für sie eine wenig attraktive Perspektive.
Für mich stellt sich aber auch die Frage, wie unter dem Fachkräftemangel in fast allen Branchen, besonders aber in Gastronomie und Handwerk, wo besonders viele Familienunternehmen existieren, der Fünf-Stunden-Business-Tag umgesetzt werden kann.
Ich denke, da bedarf es weitergehender Lösungen. Dass traditionelle Inhaberstrukturen diese Flexibilität hergeben, bezweifele ich. Kollektive, etwa genossenschaftliche, Modelle können Arbeit und Verantwortung auf mehrere verteilen. Ich habe den Eindruck, dass die Barrieren zwischen Familienunternehmen und der „Alternativwirtschaft“ bei den Jüngeren geringer geworden sind.
Im Bereich von Arztpraxen etwa ist die Nachfolge seit langem ein Thema. Auch sind modernere Modelle, im Vergleich zur Einzelpraxis eines/r Mediziner*in, häufiger geworden. Praxisgemeinschaft, Gemeinschaftspraxis, Medizinische Versorgungszentren, … . Es kann hier beispielhaft gelingen Aufgaben nach Präferenzen und Qualifikationen zu verteilen, die Intensität des beruflichen Engagements nach familiären und altersspezifischen Phasen flexibler zu regeln.
Bei den Jüngeren können Erfahrungen in Co-Working-Spaces etwa bei der Gründung eigener Start-ups, später bei der Übernahme des Familienunternehmens die Unternehmenskultur in diesem Sinne positiv beeinflussen.